C & R : die deutsche Variante

  • Per Gesetz ist in Deutschland (theoretisch) das Zürücksetzen gefangener Fische per Strafandrohung verboten. (Wobei allerdings auch hier mit zweierlei Maß gemessen wird: ein Angler, der seinen Karpfen wieder zurücksetzt kann bestraft werden; ein kommerzieller Trawler, der seinen Beifang tonnenweise über die Reling zurück kippt, geht straffrei aus)
    Ich habe da eine interessante Abhandlung der renommierten Wissenschaftler Dr. Robert Arlinghaus und Kai Jendrusch gefunden, die zum Nachdenken und zur Diskussion anregen kann.
    Mit Urteil vom 10. April 2001
    (1) hat das Amtsgericht Bad Oeynhausen einen Angler wegen eines Verstoßes gegen § 17 Nr. 2 b TierSchG zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er einen Karpfen gefangen, gewogen, fotografiert und dann zurückgesetzt hat. Dieses Urteil nimmt Drossé zum Anlass, die Praktik des Catch & Release generell als „eine angelfischereiliche Tierquälerei“ einzustufen (2). Die Kritik von Arlinghaus (3) und die sich anschließende Replik
    Drossés lassen es angezeigt erscheinen, das Thema nochmals näherzu beleuchten.


    Eine juristische Untersuchung Zugleich – verspätete – Anmerkungen zu AG Bad Oeynhausen Urt. v. 10. 4. 2001 – 5 Cs 16 Js 567/00 Von Kai
    Jendrusch und Dr. Robert Arlinghaus *


    Catch & Release - eine juristische Untersuchung


    Geschrieben von Kai Jendrusch und Dr. Robert Arlinghaus


    Catch & Release
    Eine juristische Untersuchung Zugleich – verspätete – Anmerkungen zu AG Bad Oeynhausen Urt. v. 10. 4. 2001 – 5 Cs 16 Js 567/00 Von Kai
    Jendrusch und Dr. Robert Arlinghaus *




    Mit Urteil vom 10. April 2001 hat das Gericht Bad Oeynhausen einen Angler wegen eines Verstoßes gegen § 17 Nr. 2 b TierSchG zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er einen Karpfen gefangen, gewogen, fotografiert und dann zurückgesetzt hat. Dieses Urteil nimmt Drossé zum
    Anlass, die Praktik des Catch & Release generell als „eine angelfischereiliche Tierquälerei“ einzustufen (2). Die Kritik von Arlinghaus (3) und die sich anschließende Replik Drossés(4) lassen es angezeigt erscheinen, das Thema nochmals näher zu beleuchten.


    I. Vorbemerkung


    Der nachstehende Beitrag macht den – erneuten – Versuch einer Versachlichung der Debatte rund um die Praktik des Catch & Release. Zunächst
    wird kurz definiert, was unter Catch & Release zu verstehen ist. Sodann wird untersucht, ob und wieweit diese Praxis mit der geltenden Rechtslage
    in Einklang steht. Bevor auf die eigentliche Thematik einzugehen ist, nötigt die bis dato stattgefundene Diskussion eine Stellungnahme ab. Offenkundig vergeblich hatte Arlinghaus eine Versachlichung der Debatte unter Ausschluss von Emotionen angemahnt. (5) Mit seinen Angriffen auf die ostdeutschen fischereiwissenschaftlichen Institute, namentlich Prof. Dr. Schreckenbach (6) vom angewandt arbeitenden Institut für Binnenfischerei in Potsdam, verlässt Drossé das Feld einer wissenschaftlichen Diskussion. Einen anerkannten Gutachter und Kenner seines Faches der Vetternwirtschaft zu bezichtigen („Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe“ [7]) und ihm zu unterstellen, auf Grund von Lobbyismus ein Gefälligkeitsgutachten erstellt zu haben, erscheint im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung als zu weitgehend. Auf dieser Basis sollte eine wissenschaftliche Debatte nicht fußen. Im Folgenden wird es daher unterlassen, nochmals oder zum Teil auch weitere verbale Ausfälle anzuzeigen. Gleichwohl konnten die Äußerungen Drossés nicht unwidersprochen bleiben.


    II. Zum Begriff


    Die (Fach-) Debatte um Catch & Release fokussiert sich bis dato auf das Karpfenangeln, genauer auf das Angeln mit Boilies, einem speziellen Karpfenköder
    (8). Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass diese Reduzierung von Catch & Release unzulässig und im Ergebnis auch nicht zielführend ist (9). Der Begriff stammt aus dem Englischen; to catch bedeutet fangen (in casu bezogen auf Fische), to release ist der englische Begriff für zurücksetzen.
    Als Catch & Release bezeichnet man also das Fangen und anschließende Zurücksetzen von geangelten Fischen. Zu Unrecht wird teilweise auf die Motivation des Anglers abgestellt (10). Allein maßgebend ist, ob ein zuvor gefangener Fisch wieder zurückgesetzt wird. Ebenfalls unerheblich ist es, um welche Fischart es sich handelt. Selbstredend lassen sich verschiedene Konstellationen denken, wie es zum Catch & Release kommen kann. Freilich kann dies für die strafrechtliche Relevanz nicht entscheidend sein. Beispielhaft seien hier nur einige Fälle aufgezeigt: Da wäre zunächst der Fall des Karpfenanglers zu nennen, der mit der vorgefertigten Absicht an das Gewässer fährt, den gefangenen Fisch umgehend zurückzusetzen, oder aber derjenige, der auf Karpfen angelt, um einen verwertbaren kleineren Karpfen zu fangen, um diesen dem Gewässer zu entnehmen, der jedoch einen viel zu großen Karpfen fängt und diesen wieder zurücksetzt, weil er ihn nicht verwerten kann (11). Unproblematisch lassen sich die Beispielsfälle variieren, so kann der Karpfenangler auch ein Rotauge, eine Schleie oder was auch immer fangen, ohne ein „kulinarisches“ Interesse an dem Fisch zu haben, was ihn veranlasst, diesen Fisch zurückzusetzen. Denkbar ist auch der Fall, dass ein Forellenangler einen Döbel oder Barsch fängt, ohne dies beabsichtigt zu haben. Die Reihe ließe sich wahrscheinlich unendlich fortsetzen; hier soll nur aufgezeigt werden, aus welch unterschiedlichen Gegebenheiten es zum Catch & Release kommen kann. Eine Variante sei jedoch noch aufgezeigt, bei der Catch & Release nicht nur nicht strafbewehrt ist, sondern die Entnahme des gefangenen Fisches zu einer Strafe führt. Fängt der Angler einen Fisch, der das in den Fischereiverordnungen der Länder festgelegte gesetzliche Mindestmaß noch nicht erreicht hat, so besteht für ihn die Pflicht, diesen wieder in das Gewässer zurückzusetzen. Eine weitere häufig übersehene und/oder nicht diskutierte Bedingung für das Zurücksetzen selbst maßiger Fische liegt vor, wenn Fischbestände einer Schonung bedürfen, d. h. im Bestand rückläufig oder gar bedroht sind
    (dazu sogleich).


    III. Catch & Release als Hegemaßnahme (12)


    Das deutsche Recht verbietet die Zufügung von Schmerzen und Leiden bei Wirbeltieren nicht apodiktisch, es lässt sie expressis verbis zu, wenn ein vernünftiger Grund besteht. Als vernünftiger Grund gilt im deutschen Rechtsraum immer der Fang zum Verzehr des Fisches, oder zur Hege
    und Bewirtschaftung der Gewässer (13). Ergo stellt selbst das Catch & Release maßiger Fische nicht unbedingt einen „unvernünftigen“ Grund des Angelns dar. Catch & Release maßiger Fische ist insbesondere dann vertretbar, wenn Fischbestände einer Schonung bedürfen. Viel zu selten wird diese Notwendigkeit für ein Catch & Release berücksichtigt und diskutiert. Laut den Landesfischereigesetzen müssen Fischereiberechtigte die Gewässer nämlich „hegen und pflegen“, d. h. neudeutsch bewirtschaften oder managen. Es gilt, einem dem Gewässer angepassten, natürlichen,
    oder naturnahen Fischbestand zu erhalten oder zu fördern. Diese Umstände können es erfordern, dass maßige Fische in Populationen, die aus natürlichen oder anthropogenen Gründen bedroht sind, zurückgesetzt werden.
    Im Folgenden wird die Praktik des Catch & Release an sich untersucht. Bereits an dieser Stelle lässt sich aber festhalten, dass die eben näher
    geschilderten Varianten immer zu einer Rechtfertigung des Catch & Release führen. Bei diesen Fällen kommt es damit auf die nachfolgend diskutierten Fragen gar nicht mehr an.


    IV. Strafrechtliche Relevanz


    Bei der Frage der „mutmaßlichen“ strafrechtlichen Relevanz von Catch & Release steht § 17 Nr. 2 b TierSchG im Mittelpunkt der Debatte. Demnach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt. Selbst die schärfsten Kritiker von Catch & Release halten § 17 Nr. 2 a TierSchG, welcher die Zufügung von Schmerzen und Leiden ausRohheit unter Strafe stellt, für nicht verwirklicht (14). Die Betrachtung kann sich daher auf § 17 Nr. 2 b TierSchG beschränken, gleichwohl darf § 17 Nr. 2 a TierSchG dabei nicht völlig außer Acht gelassen werden. An die nähere Untersuchung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Nr. 2 b TierSchG schließt sich eine methodische Untersuchung in Bezug auf die Auslegung von § 17 Nr. 2 b TierSchG an. Abschließend wird das Urteil des AG Bad Oeynhausen näher beleuchtet und bewertet.
    1. Tatbestand des § 17 Nr. 2 b TierSchG Zunächst soll der Tatbestand von § 17 Nr. 2 b TierSchG näher betrachtet werden. Dieser knüpft an die länger anhaltende oder sich wiederholende Zufügung erheblicher Schmerzen oder Leiden bei Wirbeltieren an.
    a) Wirbeltiere
    Der Begriff Wirbeltier (Vertebrata) findet sich an mehreren Stellen im Tierschutzgesetz; er umfasst alle Tiere, die einen in Kopf, Rumpf und (soweit vorhanden) Schwanz gegliederten Körper besitzen, in dem die Chorda dorsalis durch segmentweise angeordnete Verknöcherungen (Wirbelkörper, Vertebrae) ersetzt wurden (15). Erfasst sind dabei auch Fische (Pisces) als zahlenmäßig dominierende Klasse der Wirbeltiere, namentlich Knorpelfische (Chondrichtyes) und Knochenfische (Osteichtyes) (16). Die insoweit relevanten Fischarten in Deutschland sind damit grundsätzlich erfasst (17). In der amtlichen Begründung zu § 4 TierSchG wird auf die Schmerzempfindlichkeit der Wirbeltiere als Regelungsgrund hingewiesen (18). Ob bei Fischen gesichert vom Vorhandensein eines Schmerzempfindens auszugehen ist, erscheint indessen fraglich (vgl. dazu sogleich unter b).
    b) Schmerzen
    Eine einheitliche und feststehende Definition für Schmerzen im Sinne des Tierschutzgesetzes gibt es bis dato nicht (19). Zurückgegriffen wird weitestgehend auf die Definition der „International Association for the Study of Pain“, wonach Schmerzen unangenehme sensorische und
    gefühlsmäßige Erfahrungen sind, die mit akuter, oder potenzieller Gewebeschädigung einhergehen oder in Form solcher Schädigungen
    beschrieben werden (20). Über das Vorhandensein der Schmerzempfindlichkeit von Fischen besteht in der Wissenschaft bis dato keine
    Einigkeit (21). Die Arbeit des Amerikaners Rose „The neurobehavioral nature of fishes and the question of awareness and pain“(22) aus dem Jahr 2002 stellt es
    c) Leiden
    Für eine Verurteilung kommt demnach nur die Zufügung von länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Leiden in Betracht. Der BGH
    definiert Leiden als alle nicht bereits vom Begriff der Schmerzen umfassten Beeinträchtigungen im Wohlbefinden, die über schlichtes Unbehagen hinausgehen (27). Unter Leiden in diesem Sinne sind vornehmlich der Wesensart des Tieres zuwiderlaufende, instinktwidrige und vom Tier gegenüber seinem Selbst- oder Arterhaltungstrieb als lebensfeindlich empfundene Einwirkungen und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens zu verstehen, welche in Verhaltensstörungen und Verhaltensanomalien ihren Ausdruck finden können (28). Folgt man dieser Definition, so schwingt
    in der Beschreibung für Leiden mit dem integralen Bestandteil „Wohlbefinden“ ähnlich dem Schmerzterminus eine stark subjektive, psychologische, ja anthropomorphe Komponente mit. Wie will man Fischen Wohlbefinden attestieren, wenn das Wohlbefinden denknotwendigerweise bewusst erfahren und ausgedrückt werden muss, ein Umstand, der sich dem wissenschaftlichen Nachweis entzieht. Wie soll ein Fisch leiden, wenn er laut Rose nicht bewusst empfinden kann?
    Grundsätzlich ist damit auch die Beweisführung einer Leidensfähigkeit bei Fischen mit großen Problemen behaftet. Geht man aber mit dem BGH von der Verfassungsmäßigkeit aus, so müssen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen (29) Zweifel an der Leidensfähigkeit
    von Fischen bestehen, welche bereits zu einem Freispruch führen müss(t)en.Auch wenn der BGH (30) mit seiner Definition implizit die Verfassungsmäßigkeit des § 17 TierSchG unterstellt hat, so bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken (31). Insbesondere erscheint die Definition, die einem „Auffangtatbestand“ gleichkommt, mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG kaum vereinbar.
    d) länger anhaltend oder wiederholt erheblich Auch wenn nach hier vertretener Ansicht bereits deshalb ein Freispruch erfolgen muss, weil nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichende Wahrscheinlichkeit geklärt ist, dass Fische Schmerzen und Leiden empfinden können, sei hier ferner auf die weiteren Voraussetzungen eingegangen. So fordert § 17 Nr. 2 b TierSchG die Zufügung länger anhaltender oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden. Das Merkmal „erheblich“ setzt nach der Rechtsprechung des BGH gewichtige und gravierende Beeinträchtigungen voraus (32), welche sich nicht ohne weiteres durch das Fangen und anschließende Zurücksetzen eines Fisches begründen lassen. Zudem fordert der insoweit eindeutige Wortlaut, dass die erheblichen Schmerzen oder Leiden entweder länger anhaltend oder wiederholend zugefügt wurden. Für die strafrechtliche Relevanz kommt es lediglich auf die erste Variante, namentlich die Zufügung länger anhaltender erheblicher Schmerzen oder Leiden, an. Abzustellen ist für die Bemessung des Zeitrahmens auf den Taterfolg, nicht auf die Tathandlung.Die Zeitspanne, welche als länger anhaltend einzustufen ist, lässt sich dabei nicht fixieren, sondern ist abhängig von der Intensität der Schmerzen oder Leiden. Faustformelartig lässt sich
    festhalten: Je gravierender die Schmerzen oder Leiden, desto kürzer die Zeitspannen, die ausreichen, um den Tatbestand des länger Anhaltens
    zu erfüllen (33). Wenn aber schon auf Grund der einfachen Hirnstrukturen bei Fischen Zweifel an der generellen Leidens- und Schmerzfähigkeit
    bestehen, so muss dies bei der Bemessung des Zeitrahmens, welcher als lang anhaltend einzustufen ist, Berücksichtigung finden. Der Zeitrahmen, der durch den Drill und das anschließende Zurücksetzen eines Fisches in Anspruch genommen wird, erscheint dafür kaum ausreichend, insbesondere weil viele Studien gezeigt haben, dass sich einige Fischarten rasch vom Drillvorgang erholen (34).
    Die letalen und vor allem subletalen Effekte des Fangens und Zurücksetzens sind unter keinen Umständen auf alle Fischarten generalisierbar, von multiplen Faktoren abhängig (z.B. Wassertemperatur) und artspezifisch (35). Die physiologischen Veränderungen wie ansteigender Lactatgehalt, die mit dem Catch & Release einhergehen, liegen in vielen Fällen im Rahmen von Werten, wie sie in natürlicher Umgebung als Folge von Sprints zum Nahrungserwerb und zur Vermeidung eines Räubers (z. B. Kormoran) auftreten. Das Zurücksetzen von Fischen wird demnach nur in besonderen Fällen zu etwas führen, was als lang anhaltend und gravierend zu charakterisieren ist.
    2. Systematische Überlegungen
    Neben den erfolgten Ausführungen zu den Bedenken im Hinblick auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 17 Nr. 2 b TierSchG stützen
    auch systematische Überlegungen das soeben gefundene Ergebnis. Insbesondere ein Blick auf § 17 Nr. 2 a TierSchG zeigt, dass die gesetzgeberischen Anforderungen an eine Verurteilung nicht gering sind. So fordert Nr. 2 a die Zufügung von Schmerzen und Leiden (ohne die
    Qualifikation länger anhaltend oder wiederholend und erheblich) aus Rohheit. Aus Rohheit geschieht das Zufügen der Schmerzen oder Leiden, wenn es einer gefühllosen, fremde Leiden missachtenden Gesinnung entspringt (36). Bereits das Reichsgericht hat dazu ausgeführt, dass dem Täter bei der Misshandlung das notwendige als Hemmung wirkende Gefühl für den Schmerz und das Leiden des Tieres fehle, wie es sich in gleicher Lage bei jedem menschlich und verständig Denkenden eingestellt hätte (37). Stellt man aber auf Grund dieser Wertung des § 17 Nr. 2 a TierSchG auch an Nr. 2 b erhöhte Anforderungen, so lässt sich eine Strafbarkeit für Catch & Release nicht begründen.
    Das Urteildes AG Bad Oeynhausen Anstoß der Debatte um das Catch & Release war das Urteil des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 10. April 2001 – 5 Cs 16 Js567/00 (16/01), in der ein Karpfenangler wegen des Verstoßes gegen § 17 Nr. 2 b TierSchG zu zehn Tagessätzen verurteilt wurde.
    Der Sachverhalt ist im Urteil wie folgt beschrieben: „Dem Angeklagten gelang es, einen großen Karpfen zu angeln, er zog ihn mit der Angelschnur
    im Rahmen eines so genannten Drillvorgangs an Land, er stellte infolge der Größe sofort fest, daß dieser Karpfen nicht mehr zum Verzehr geeignet war, dennoch löste der Angeklagte nicht sofort den Angelhaken aus dem Maul des Fisches, um den Fisch anschließend sofort wieder in die Weser zurückzusetzen, vielmehr legte er ihn nach Lösung des Hakens aus dem Maul auf eine Waage, dabei stellte er fest, daß der Karpfen rund 44 Pfund schwer war. Sodann postierte sich der Angeklagte mit dem Karpfen vor einer selbst aufgestelltenKamera und fotografierte sich mit dem Karpfen in der Hand mit Hilfe eines Selbstauslösers. Dieser Vorgang dauerte nach Angaben des Angeklagten höchstens 5 Minuten. Anschließend setzte der Angeklagte den Karpfen in die Weser zurück.“
    Das nicht veröffentlichte Urteil erscheint aus mehreren Erwägungen heraus nicht geeignet, ein generelles Verbot von Catch & Release zu egründen.
    Zunächst ist festzuhalten, dass die Urteilsbegründung äußerst unpräzise ist. Pauschal stellt das Gericht fest: „Aufgrund der durch die Einlassungen des Angeklagten getroffenen Feststellungen war der Angeklagte wegen Zufügung länger anhaltender erheblicher Schmerzen und Leiden gegenüber einem Wirbeltier gemäß § 17 Nr. 2 Tierschutzgesetz zur Verantwortung zu ziehen.“ Das Gericht macht keinerlei Angaben, worin respektive wodurch die Leiden und Schmerzen verursacht wurden. Man kann erahnen, dass das Gericht dem Angeklagten einen Vorwurf daraus macht, dass der Wiege- und Fotografiervorgang ca. fünf Minuten gedauert hat. Das ergibt sich aus folgenden Ausführungen: „Dem Angeklagten war infolge der festgestellten Größe und des damit verbundenen Alters des Karpfens sofort klar geworden, daß sich dieser Karpfen zum Verzehr nicht
    eignen würde. Anstatt den Fisch sofort in sein Element, das Wasser, zurückzusetzen ...“ Dem folgend wäre aber das eigentliche Fangen
    und Drillen nicht strafbewehrt. Das Gericht knüpft also an der Besonderheit des vorliegenden Falles an, die darin liegt, dass der Karpfen ca. fünf
    Minuten an der Luft war. Fischereibiologisch vorgebildeten Personen muss klar sein, dass eine solche Zeitspanne von fast allen ausreichend
    großen Karpfen mühelos ertragen wird und nach kurzer Zeit der Erholung erneut die Nahrungsaufnahme als Zeichen eines guten „Wohlbefindens“ einsetzt. Es ist nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes, zu bewerten, ob dem zu folgen ist. Festzuhalten bleibt aber, dass sich Verallgemeinerungen wie sie Drossé (38) vorgenommen hat, aus dem Urteil des AG Bad Oeynhausen nicht schlussfolgern lassen. Daneben leidet das Urteil aber an einem weiteren Mangel. Das Gericht setzt sich mit keinem Wort mit der Frage auseinander, ob Fische überhaupt Schmerzen und Leiden empfinden können. Auch wenn das Gericht im Jahre 2001 noch nichts von der in einer begutachteten Zeitschrift publizierten Arbeit Roses wissen konnte, so wäre eine Auseinandersetzung mit dieser Frage trotzdem zwingend gewesen, weil insoweit keinesfalls Einigkeit in der Wissenschaft bestanden hat (39). Dies zeigt nicht zuletzt das Urteil des AG Rinteln 6 Cs 204 Js 4847/98 (231/98) v. 17. 5. 2000, in dem das Gericht basierend auf einem Gutachten von Schreckenbach zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Schmerzen und Leiden bei Fischen wissenschaftlich umstritten und nicht mit der eine strafrechtliche Verurteilung tragenden Sicherheit zu unterstellen seien. Folgerichtig hatte das AG Rinteln zwei Angler freigesprochen, die mehrere Rotaugen in einem Setzkescher gehältert hatten. Anlass zur Auseinandersetzung mit der Frage der Schmerz- und Leidensfähigkeit von Fischen bestand also durchaus.
    Demnach überzeugt das Urteil des AG Bad Oeynhausen aus den vorgenannten Erwägungen nicht.
    V. Fazit
    Das Urteil des AG Bad Oeynhausen geht fehl. Der Angeklagte wurde zu Unrecht verurteilt. Das AG verkennt, dass auf Grund der wissenschaftlichen Zweifel nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit geklärt ist, ob Fische über ein Schmerz- und Leidensempfinden verfügen.
    Der Argumentation „in dubio pro Angler“ folgend hat die Staatsanwaltschaft Hannover ein ähnliches gelagertes Verfahren eingestellt (40).
    Überdies sprechen systematische und verfassungsrechtliche Erwägungen gegen das vom AG Bad Oeynhausen gefundene Ergebnis. Selbst wenn man dem AG Bad Oeynhausen darin folgen würde, dass die fünfminütige andauernde Behandlung des Karpfens an der Luft den Tatbestand des § 17 Nr. 2 b TierSchG verwirklicht, was auf Grund der generellen Zweifel an der Schmerz- und Leidensfähigkeit von Fischen fraglich erscheint, so lässt sich dem Urteil jedoch keinesfalls eine Verallgemeinerung entnehmen, wonach Catch & Release eine strafbewehrte Praktik in der Angelfischerei sei. Das Fangen und anschließende Zurücksetzen von Fischen (Catch& Release) verwirklicht nicht den Tatbestand des § 17 Nr. 2 bTierSchG.
    *) Der Autor zu eins ist Doktorand an der Philipps-Universität Marburg,
    Lehrstuhl Prof. Dr. Steffen Detterbeck, der Autor zu zwei ist Fischereiwissenschaftler,
    angestellt
    am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei,
    Berlin.
    1) AG Bad Oeynhausen 5 Cs 16 Js 567/00 v. 10. 4. 2001, soweit ersichtlich nicht
    veröffentlicht.
    2) Drossé, AgrarR 2002, S. 111 ff.
    3) Arlinghaus, AgrarR 2003, S. 367 ff.
    4) Drossé, AgrarR 2003, S. 370 ff.
    5) Arlinghaus, AgrarR 2003, S. 367
    6) Prof. Dr. Schreckenbach hat im Dezember 1999 ein Sachverständigengutachten für das AG Rinteln verfasst, was zum Freispruch von zwei Anglern führte, welche einen Setzkescher benutzt hatten; AG Rinteln 6 Cs 204 Js 4847/98 (231/98) v. 17. 5. 2000.
    7) Drossé, AgrarR 2003 S. 370 (373).
    Vgl. Drossé, AgrarR 2002, S. 111 ff.; ders., AgrarR 2003, S. 370 ff.
    9) Arlinghaus, AgrarR 2003, S. 367.
    10) Vgl. nur Drossé, AgrarR 2002, S. 111 (112 f.).
    11) So ist wohl der dem Urteil des AG Bad Oeynhausen zu Grunde liegende Fall einzustufen.
    12) Vgl. dazu ausführlich Arlinghaus, AgrarR 2003, S. 367 (368).
    13) Maisack/Moritz, TierSchG, 1. Aufl. 2003, § 17 Rn. 21 ff., Tierschutzbericht 2003, Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Drucksache 15/723, S. 60.
    14) Drossé, AgrarR 2003, S. 370 (372).
    15) Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 1. Aufl. 2003, § 4 Rn. 1
    16) Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 4 Rn. 4; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 1. Aufl. 2003, § 4 Rn. 1.
    17) OLG Düsseldorf NuR 1994, S. 517.
    18) BT-Drs. VI/2559 aus dem Jahre 1972.
    19) Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 1 Rn. 20.
    20) Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 1. Aufl. 2003, § 1 Rn. 12; Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 1 Rn. 20.
    21) Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 1. Aufl. 2003, § 1 Rn. 15; Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 1 Rn. 25; jüngst dafür Drossé,
    AgrarR 2003, S. 370 f.; dagegen Arlinghaus, AgrarR 2003, S. 367 (368 f.); jeweils m.w. N.
    22) Rose, Reviews in Fisheries Science 10 (1), S. 1 ff.; ihm folgend Schreckenbach/Pietrock, Schmerzempfinden bei Fischen: Stand der Wissenschaft, Schriftenreihe des Landesfischereiverbandes Baden Württemberg, Heft 2, S.17 ff.
    23) Problematisch ist der zweifelsfreie wissenschaftliche Beweis eines (notwendigerweise an ein Bewusstsein gekoppelten) Schmerzempfindens bei Fischen deswegen, weil Verhaltensreaktionen und andere neuroendokrine und physiologische Antworten auf äußere Reize auch unbewusst und damit losgelöst von Schmerz vonstatten gehen können. Physiologische und Verhaltensreaktionen bei Fischen, wie z. B. durch Sneddon/Braithwaite/Gentle (2003, Proceedings: Biological Sciences 270, S. 1115 ff.) bei künstlich gestressten Forellen nachgewiesen, können nicht als zweifelsfreier Beleg für ein Schmerzempfinden herangezogen werden, weil Nozizeption und Schmerzempfinden nur bei Bewusstsein miteinander gekoppelt sind. Das Gleiche gilt für Sneddon (2003, Applied Animal Behaviour Science 83, S. 153 ff.), weil das applizierte Morphin zur Schmerzlinderung bei Forellen das vegetative Nervensystem in der Gesamtheit beeinflusst. Selbst stärkste Befürworter eines Schmerzempfindens bei Fischen (Braithwaite/Huntingford, Animal Welfare, 2004, 13 S. 87 ff.) gestehen ein, dass es trotz nachgewiesener teil komplexer Verhaltensweisen von Fischen unklar bleibt, ob Fische bewusst Schmerzen empfinden oder leiden können.
    24) Vgl. etwa OLG Düsseldorf NuR 1994, S. 517 (518); unterstellt bei OLG Celle NStZ-RR 1997, S. 381.
    25) Drossé, AgrarR 2003, S. 370 (371).
    26) So völlig zu Recht der Einstellungsbeschluss der StA Hannover v. 25. 4. 2003 – 1252 Js 70329/02 = NuR 2003, S. 578 f.
    27) BGH NJW 1987, S. 1833; ihm folgend OLG Düsseldorf NuR 1994, S. 517.
    28) Vgl. zum Begriff Leiden: Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 1 Rn.
    32 ff.; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 1. Aufl. 2003, § 1 Rn. 17 ff.
    29) Rose, Reviews in Fisheries Science 10 (1), S. 1 ff.; ihm folgend Schreckenbach/Pietrock, Schmerzempfinden bei Fischen: Stand der Wissenschaft, Schriftenreihe des Landesfischereiverbandes Baden Württemberg, Heft 2, S. 17 ff.
    30) BGH NJW 1987, S. 1833 ff.
    31) Vgl. dazu: Gündisch, AgrarR 1978, S. 91 ff.; Deselaers, AgrarR 1979, S. 209.
    32) BGH NJW 1987, S. 1833 (1834).
    33) Ähnlich wie hier: Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 17 Rn. 40 f.
    34) Vgl. nur Cooke/Bunt/Ostrand/Phillipp/Wahl, 2004, Journal of Applied Ichtyology
    20 (1), S. 28 ff., Pope/ Willis, 2004, Fisheries Management and Ecology 11 (1), S. 39 ff., Brobbel/Wilkie/ Davidson/Kieffer/Bielak/Tufts, 1996, Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences 53 (9), S. 2036 ff., Pankhurst/Dedual, 1994, Journal of Fish Biology 45 (6), S. 1013 ff.,
    Schwalme/Mackay, 1985, J. Comp. Physiol. B 156, S. 67 ff.
    35) Muoneke/Childress, 1994, Reviews in Fisheries Science, 2 (2), S. 123 ff
    36) Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 17 Rn. 32; der Begriff „roh“ findet sich auch im StGB, vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 225 Rn. 9.
    37) RG JW 1938, 1898; ebenso Lorz/Metzger, TierSchG, 5. Aufl. 1999, § 17 n.32.
    38) Drossé, AgrarR 2002, S. 111 ff.; ders., AgrarR 2003, S. 370 ff.
    39) Rose publizierte bereits 1999/2000 eine abgekürzte Fassung seiner Arbeit (Do fish feel pain?, Fisherman 24 [7], S. 38-46), die im Folgenden auch im deutsprachigen Raum kommentiert und verbreitet wurde (z. B. Steffens, W. [2000]). Empfinden Fische Schmerzen? Deutsche Fassung von Rose (1999/2000). Fischer & Teichwirt Ausg. 4 S. 145–147.
    40) StA Hannover v. 25. 4. 2003 – 1252 Js 70329/02 = NuR 2003, S. 578 f.


    TL
    Wolfgang


    PS.: Arlinghaus deffiniert das C&R als "sinnvolle, selektive Entnahme und nicht das strikte Zurücksetzen aller Fische"
    Ich bitte die eventuell folgende Debatte unter Ausschluss von Emotionen zu führen!

    Wolfgang Schmidt
    Team ForTuna / biggame-kroatien.de


    Entweder,Du weißt etwas, dann teile es mit,
    oder Du vertritts nur eine Meinung, dann halte den Mund.
    (Sokrates, griechischer Philosoph, 469 v. Chr.)


    3 Mal editiert, zuletzt von bluemarlin54 ()

  • Wolfgang,
    danke für die präzise Recherche und sachkundige Folgerung.
    Deinen Rat der emotionsfreien Debatte mche ich gern zu
    meiner persönlichen Grundlage bei eventuellen Gesprächen
    mit BG-Feinden.
    Die T&R Karten (Billfish Foundation) von Xico und mir jedenfalls in den
    beiden Wintersaisons off-shore Angola lassen sich nicht weg diskutieren.


    Danke und wie immer
    :hutab:

    PARGO


    ================================
    si tacuisses, philosophus mansisses

  • Ich möchte mich auch bei dir bedanken für die Mühe die du dir machts. :hutab:
    Der Artikel ist ist erhellend in Sachen Catch & Release. Die juristische Lage ist schwierig u. man sollte Wissen was man wie sagen kann.


    G. Tortugaf

  • Gratulation zu dieser sehr ausführlichen juristischen und wissenschaftlichen Analyse! :thumbsup:




    Es zeigt sich vielseitig wie schwanmmig doch die Gesetzbücher zu diesem Thema geschrieben sind und besteht weiterer Handlungsbedarf zu diesm heiklen Thema!!

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